Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne


Von Birgitta Behr (Illustration und Text), Sandra Wendeborn (Buchgestaltung)
unter Mitarbeit von Lothar Lewien (historische Recherche)
und Dr. Patrick Henßler (Fachberatung).
Ab 10, 112 Seiten
2016, arsEdition, München
978-3- 8458-1525-1
€ 12,99

Erschrocken blickt das Mädchen über seine Schulter ins Gesicht des Betrachtenden. Ihre großen braunen Augen blicken ängstlich und fragend zugleich, ihre Hand scheint nach einem rot-weißen Faden greifen zu wollen. Ergreift sie ihn? Den Faden, der sie, einem Strohhalm gleich, ihren Lebensmut behalten lässt? Und die Betrachtenden peu à peu damit konfrontiert, was Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 verlieren – und finden – wird, um ihr Leben zu behalten.

Auf dem Vorsatzpapier scheint der Faden ein Paket zu umschließen. Das „Geschenk des Lebens“, das allen Menschen gilt. Das Schönes und Schweres beinhaltet. Auf dem fliegenden Vorsatz knüllt er sich, bevor er als Bändel eines Anhängers auf der Widmungsseite erscheint, dessen Worte sich nicht nur an die Genannten, sondern alle Lesenden richten: „wenn du ein Gespenst ignorierst, wird es größer“ (S.6). So zieht er sich durchs Buch, taucht hier und da auf und zeigt, „dass das Gute bei dir ist, auch in dunkelster Zeit. Er verbindet dich mit einer Geschichte aus der Vergangenheit, die weitergeht in dir. Halte ihn fest, diesen rot-weißen Faden, und mit ihm das Gute in der Welt.“ (S. 98)

Die Geschichte aus der Vergangenheit ist jene von Susi und ihren Eltern, die, dank eines Stolpersteines für die verstorbene Großmutter, an die Öffentlichkeit kam. Birgitta Behr – im Hauptberuf Lehrerin an einer Berliner Grundschule – schildert sie zur Mahnung wider das Vergessen und als Appell an die Menschlichkeit für Kinder ab etwa zehn Jahren. Aus der Beobachterperspektive heraus lässt sie das Haus mit der Nummer 4, aus dem die Großmutter deportiert wurde, behutsam erzählen. Das verleiht dem Geschehen eine distanzierende Wirkung, welche, trotz aller Schwere, Kindern  zugemutet werden kann. Den latenten Vorwurf der Unzumutbarkeit solcher Themen für Kinder kontert Birgitta Behr mit der Frage, ob es nicht wichtiger wäre, „die wahren Monster zu kennen und zu besiegen, als sich vor den erfundenen Gänsehautfratzen unter der Bettdecke zu verkrümeln?“ (S. 13) Und weil es der Autorin fern liegt, Kinder zu ängstigen, erzählt sie Susis Geschichte so poetisch, dass, allen Gräueln zum Trotz, die Menschlichkeit siegt. Multimodal äußert sich das auch in Verbindung mit den Illustrationen, die ebenfalls von Birgitta Behr sind. Sandra Wendeborn arrangiert sie – inklusive des Fadens – mit historischen Fotografien auf vergilbt wirkendem Papier. Unisono ergibt das ein hybrides Gesamtkunstwerk, welches ein erzählendes Sachbuch, eine Graphic Novel und ein zu lesender Stolperstein gleichermaßen beinhaltet.

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