Reden ist Verrat

Nach der wahren Geschichte der Freddie Oversteegen
Von Wilma Geldof,
aus dem Niederländischen übersetzt von Verena Kiefer.
Ab 14, 304 Seiten
2020, Gerstenberg, Hildesheim
978-3-8369-6045-8
€ 18,00

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganz Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ Freddie Oversteegen gewann nicht die Welt. Sie beteiligte sich am bewaffneten niederländischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Schaden an ihrer Seele nahm sie dennoch.

Freddie Oversteegen (*1925 – †2018) war die vermutliche jüngste Widerstandskämpferin der Niederlande. 14 Jahre alt war sie, als sie, gemeinsam mit ihrer zwei Jahre älteren Schwester Truus, für den Widerstand rekrutiert wurde. Nach dem Motto „hören, handeln, schweigen“ (Seite 141) verteilte sie Flugblätter und Zeitungen, spionierte Personen und Einrichtungen aus, half verfolgten Juden, Kommunisten, Sozialisten und beteiligte sich bei Sabotageakten und Liquidationen.

Hin- statt Wegsehen
In Reden ist Verrat lässt Wilma Geldof  die Leser*innen an Freddies Enthusiasmus und Überzeugung teilnehmen, ohne ihre Zweifel zu verschweigen. Freddie und ihre Schwester Truus wuchsen in einer kommunistischen Familie auf. Werte wie Gerechtigkeit und Wehrhaftigkeit lebte ihnen ihre Mutter vor, absolute Verschwiegenheit und Misstrauen gegenüber jedermann lernten sie in der Widerstandsgruppe. Das eingangs erwähnte Bibelzitat aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 16, Vers 26) dürfte nicht zu ihren Kindheitsprägungen gehören. Gleichwohl gehört es zum Menschsein, sich – unabhängig von religiöser, politischer oder freigeistiger Erziehung – mit den Folgen des eigenen Tuns auseinanderzusetzen. Nichts anderes besagt das geflügelte Zitat.

Wie weit bin ich bereit zu gehen?
Was macht mein Handeln mit mir?
Diese Fragen literarisiert die Autorin in der fiktiven Figur von Peter, Freddies Freund aus Kindertagen, und der realen Gestalt von Oma Bracha. Dadurch gelingt es ihr, die historische Bedeutungsebene des Inhalts mit der psychologischen Ebene der Leser*innen zu verbinden, was den emotionalen Spannungsbogen des Romans ungemein erhöht. Und Leser*innen von heute vor die Frage stellt, inwiefern sie für Überzeugungen oder gegen Menschenrechtsverletzungen einstehen?  

„Früher dachte ich, tief in mir wüsste ich, was richtig ist und was nicht. Und dass ich immer darauf hören würde. Aber plötzlich weiß ich es nicht mehr. Als gäbe es nicht mehr nur eine Stimme, auf die ich hören müsste, sondern eine ganze Menge Stimmen.“
(Seite 311)

 

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