Ich bin heute Löwenlaut


Von Maike Harel,
illustriert von Katja Gehrmann.
Ab 3, 32 Seiten
2019, Carlsen, Hamburg
978-3-551-51308-3
€ 13,00

Auf der ersten Doppelseite springt ein kleiner Junge „über Tische und Bänke“, genauer gesagt, vom Sessel über den Wohnzimmertisch aufs Sofa. Im Türrahmen steht seine Mama und schaut wenig begeistert drein. Auf der nächsten Bildseite sitzt der Bursche – Jajah – mit hochrotem Kopf auf dem Sofa und schmollt. „Nein, ich will kein kleiner Junge sein! Denn Jungen tun, was sie nicht sollen, und müssen stets, was sie nicht wollen. Ich bin ab jetzt …“ (Seite 4).

Jajah eckt an. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und mit Jajah viele andere kleine Jungen, deren Bewegungs- oder Entdeckungsdrang von Seiten der Erwachsenen nicht goutiert wird. Also überlegt Jajah, was er stattdessen sein könnte: Ein Beuteltier, ein Hahn, ein Äffchen, ein Löwe, ein Robbenkind? Nach und nach verwandelt er sich in das auserwählte Tisch und freut sich an seinen neuen Freiheiten. Die liegen in der Natur des Tieres und können deshalb gar nicht aberzogen werden. Denkt Jajah, wobei er seine Mama – die stellvertretend für alle Erwachsenen gesehen werden kann – unterschätzt. Was tut sie? Sie nutzt die besonderen Eigenheiten des jeweiligen Tieres kreativ zu ihren Gunsten aus. Aus Sicht der Erwachsenen eine prima Problemlösestrategie, aus Jajahs Sicht enttäuschend. Denn der Reiz liegt ja in der Übertretung, nicht der Anpassung.

Wichtiges Kindheitsthema
Entwicklungspsychologisch greift Maike Harel in ihrem ersten Bilderbuch ein wichtiges Kindheitsthema – nicht nur für Jungen – auf. Wie viel Anpassung ist notwendig, um in einem sozialen Gefüge so miteinander leben zu können, dass die Bedarfe aller Berücksichtigung finden? Und wie viel Reibung ist ebenso notwendig, damit allseitige Veränderungen möglich werden? Damit sich Erwachsene und Kinder bewegen? Wörtlich und im Denken? Dazu bietet Ich bin heute Löwenlaut unterhaltsame Nachhilfe in Wort und Bild an. Denn Maike Harel verpackt ihre Botschaft in kurzweilige Reime, die zunächst an die Adresse der vorlesenden Erwachsenen gehen.

Visuelle Vertiefung
Dafür sprechen die frechen Illustrationen von Katja Gehrmann die Kinder ganz unmittelbar an. Dominant setzt sie die Tiere ins Bild und fokussiert einzelne Szenen, in denen sich Kinder mühelos wiedererkennen. Diese visuelle Vertiefung der Erzählebene bietet weiteren sprachlichen Input an, der auf dem gemeinsamen Betrachten der Figuren – auch des Krokodils, das seine eigene Geschichte in der Geschichte erhält – und Szenen basiert.
Diese gelungene Verbindung von Wort und Bild entfaltet seine Wirkung im mehrmaligen Betrachten und Vorlesen. Im Laufe der Zeit dämmert es den kleinen Jajahs, wer sie wirklich sind. Und ihren erwachsenen Bezugspersonen, was sie wirklich wollen: „So lieb mir alle Tiere sind, am liebsten wäre mir mein Kind. (…) Ob Stinktier, Schweinchen oder Biber, ein kleiner Junge wär mir lieber!“ (Seite 28/29)

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