Miriam, Misch-Mafu

Von Marie Sellier, illustriert von Diagne Chanel,
aus dem Französischen übersetzt von Margret Millischer.
Editions Bernest, Wien
978-3-902984-23-4 (französisch/deutsch)
€ 14,90 |

Wider die Schublade in den Köpfen, sei es bei Menschen oder Mafus, lautet das Credo des zweisprachigen Bilderbuchs über Miriam, das kleine Misch-Mafu. Was ist ein Mafu? Ein Schwein? Tapir? Leguan? Oder eine Promenadenmischung?

„Es ist, was es ist“, würde Erich Fried sagen, und meint damit die Liebe, die sich weder Berechnung, Angst oder Vorsicht unterwirft und aus der sowohl Mafus als auch Misch-Mafus hervorgehen. Die sind in der Nacht alle grau, verrät der erste Satz, um auf der nächsten – französischsprachigen – Doppelseite die vermeintliche Monotonie der Nacht zu differenzieren. Sie sind nämlich doch verschieden, schwarz, blau, rot, gelb, und, ja, graue sind auch dabei, mit oder ohne Fell. Welche Vielfalt, welch Vergnügen! Aber nicht für Miriam, dem „Kind der Liebe“ zwischen einer blauen Mafu-Mutter und einem schwarzen Mafu-Vater. Die tumben Sprüche der Ausgrenzung begegnen ihr auch in der Schule, wo sie lange Zeit die einzige Misch-Mafu war. Denn Miriam sieht anders aus, blau-schwarz mit Bauchring, was bei manchen nicht ins Mafubild passt. „Bist du von hier?“, wird sie gefragt und stellt eines Tages zwei anderen Mafus die gleiche Frage: Mona, rot-gelb, und Marvin, schwarz-braun. Ihres eigenen Schubladendenkens gewahr, lachen Miriam und die beiden anderen Misch-Mafus – über sich, das Leben – bis schließlich alle einstimmen.

Wider die Schublade in den Köpfen, wider Vor-Vorurteilen von Kindern! Die festigen sich schon im Alter von drei Jahren, sofern ihnen nichts entgegnet wird, beispielsweise das Bilderbuch der französischen Schriftstellerin und Drehbuchautorin Marie Sellier. Dem gelingt das ohne Belehrungen, einzig auf die Kraft von Aussagen und Fragen vertrauend. Ihre kongeniale Entsprechung erhält ihr Text in der handschriftlichen Typographie und den flächigen, ganzseitigen Illustrationen – Pastell auf Packpapier? – von Diagne Chanel. In deren Mittelpunkt stehen die Mafus in ihrer ganzen Farben- und Formenvielfalt, wogegen der Schauplatz der Handlung in den Hintergrund rückt und der Fantasie des Betrachters überlassen bleibt. Das führt zu einem hohen Identifikationspotenzial seitens der Rezipienten und macht das Buch für Lesende verschiedenen Alters interessant.

Eine weitere Dimension wird dem Text und den Illustrationen durch die Integration der beiden Sprachen Französisch und Deutsch zuteil. Die stehen nicht nur wahlweise neben- oder untereinander, sondern bestimmen den Verlauf der Handlung, die bewusst zwischen den beiden Sprachen wechselt.

Diese außergewöhnliche zweisprachige Gestaltung des Bilderbuches ist dem Verlegerpaar Bernadette Bernest und Ernst Becvar zu verdanken. Zweisprachigkeit gehört zu ihrem Alltag; sie wissen, dass Sprachen verbinden und Bücher dazu beitragen können. Deshalb verlegen sie französische, deutsche oder französisch-deutsche Literatur, die, wie bei ‚Miriam, Misch-Mafu‘, sogar von Seite zu Seite wechselt. Solchermaßen irritiert, wird der Lesende zum Nachdenken und genauen Betrachten der Bilder aufgefordert. Wer sich darauf einlässt, gelangt zu der Erkenntnis, dass sich die Handlung auch ohne Französisch- oder Deutschkenntnisse verstehen lässt. Wem Intuition nicht genügt, sondern Gewissheit haben möchte, liest in der vorsorglich beigelegten Übersetzung die Bestätigung, was zuvor erahnt wurde. Wodurch dem Buch eine weitere Botschaft für seine Leser innewohnt: Wissen wir immer, was unser Gegenüber meint? Selbst dann, wenn wir alle Worte verstehen?

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